Der 8. Mai: Kapitulation, Kriegsende, Befreiung.


Zum ersten Teil.


Ein nicht endenwollendes Rauschen geht durch den Blätterwald der Medien,
Befreiung
Auf allen Fernsehkanälen flimmert es Tag und Nacht,
Befreiung
Journalisten hacken es in die Tastatur ihrer Laptops,
Befreiung
Politiker stoßen das Wort aus, wie einen Befehl,
Befreiung
Wer denkt und fragt, gerät ins Schwitzen,
Befreiung?
Jetzt besser nicht, erst Morgen wieder, wenn es vorbei ist, das Rauschen, das Flimmern und das Klicken der Tastaturen.
Wer denkt und fragt, redet sich um Kopf und Kragen
Befreiung?
Jeder Tonfall, jeder Wimpernschlag, jede Handbewegung wird registriert.
Befreiung?
Wieso fragen Sie überhaupt? Sie wollen doch wohl nicht, wollen sie etwa behaupten? Schliesslich haben wir doch!
Ich schäme mich, Deutscher zu sein.
Ich spreche kein Deutsch, wenn ich im Ausland bin.
Ich bin kein Deutscher, ich bin Europäer.
Nie wieder, was denn?
Wie kannst du nur fragen
willst du etwa…?
Was soll ich denn wollen?
Ja, weißt du denn nicht?
Befreiung.
Wovon?
Wie, was du bist ja ein NAZI!

Den historischen Ereignissen sei die Frage vorangestellt: Wieweit kann sich ein Kollektiv erniedrigen und inwieweit gibt es als Konsequenz des Glaubens so etwas, wie Buße als eine planmäßig herbeigeführte kollektive Verhaltensstörung

Spätestens im 13. Jahrhundert traten religiös-fanatisierte Gruppen auf, die sich, ob ihrer Sünden, selbst Qualen auferelegten und öffentlich selbst geißelten, bzw. auspeitschten. Dies führt zu der Frage, kann eine kollektive und intensive Beschäftigung mit Schuld zu einer kollektiven selbstquälerischen Hysterie führen?

Jahrhunderte später waren es die Jesuiten, die Buße neu definierten:

Nur ein ganz großer Sünder hat das Zeug zum großen Moralisten. Je schrecklicher die Sünde, desto tiefer die Buße und Reue. Je tiefer die Buße und Reue, desto strahlender am Ende das moralische Überlegenheitsgefühl.

Geislerzug (aus einer Handschrift des 13. Jahrhunderts)

Selbstgeißlung, der Mangel an Selbstwertgefühl und die Neigung, sich selbst zu bestrafen, hat im Laufe der Geschichte nicht nur einzelne Menschen oder Gruppen befallen. Selbst-Geißelung oder auch Flagellantentum kann, wie bei den Deutschen offenkundig, ein ganzes Volk befallen. So kommt der Umgang der Deutschen mit ihrer Geschichte und sich selbst, in unseren Tagen einer kollektiven Psychose gleich. Derzeit allerdings beginnen die Deutschen, sich gemäß der Jesuitischen Devise, in moralischer Überlegenheit „strahlend“ zu erheben, um einen Nationalismus in Schuld zu pflegen, mit der tiefen Überzeugung, schlechter zu sein, als alle Völker der Erde. Soviel vorab zum Selbstwertgefühl der Deutschen, das kluge Köpfe mit ausgefeilten Mitteln zum sinnstiftenden Imperativ erhoben haben.

Umgang mit der Selbstgeißelung


Zum 40. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht hielt sich der damalige Bundespräsident Friedrich v. Weizsäcker am Mai 1985 veranlasst, kurz vor seinem Israel-Besuch, eine Rede zu halten, in der er neben verschiedenen anderen Aspekten, den 8 Mai 1945 zum Tag der Befreiung erklärte. Dieser Passus in der Rede v. Weizsäckers war seinerzeit höchst umstritten und erntete Widerspruch vor allem aus konservativen Kreisen. Dies, obwohl Weizsäcker seinerzeit einschränkend eine Kolldektivschuld ablehnte, indem er ausdrücklich feststellte: „Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich“. Damals warnte Franz Josef Stauss neben etlichen anderen Politikern und forderte, die Vergangenheit „in der Versunkenheit verschwinden zu lassen, denn die ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe lähmt ein Volk!“ Die Tatsache dass der Vater des ehemaligen Bundespräsidenten, Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär im auswärtigen Amt gewesen war und Brigadeführer der Alllgemeinen SS, gibt Strauss recht. Sie belastete die Position des Bundespräsidenten und machte ihn erpressbar, zumal der Vater wegen seiner Beteiligung an der Deportation fanzösischer Juden nach Auschwitz, vor dem Nürnberger. Tribunal verurteilt worden war. Damals war der spätere Bundespräsident als Hilfsverteidiger sein

Zum 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, im Jahr 1985, tauchte zum ersten Mal das Wort von der „Befreiung“ auf. Geprägt hatte es, sozusagen am Vorabend zu seiner Israel-Reise kein Geringerer, als der damalige deutsche Bundespräsident, Richard von Weizsäcker. Allerdings differenzierte Weizsäcker, indem er den Begriff der Befreiung eindeutig den Opfern des Holocaust, den Insassen in den Konzentrationslagern und überhaupt den Verfolgten des Nationalsozialistischen Terrors zuordnete. Ansonsten stellte der Bundespräsident klar, dass es freilich für viele Menschen, unter Anderem für die Vertriebenen aus den Ostprovinzen und den Soldaten, die aus den Gefangenenlagern kamen, eine schwere Stunde der ungewissen Zukunft war. Mit anderen Worten, Weizsäckers Rede war differenziert genug, um sich aus eigener Sichtweise und Erfahrung der einen oder der anderen Gruppe zuzuordnen. Eine Kollektivschuld der Deutschen lehnte Weizsäcker ab: „Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich“. So der damalige Bundespräsident.

Rückblickend betrachtet darf man annehmen, dass Weizsäcker nichts anderes im Sinn hatte, als eine Brücke zwischen den verschiedenen Wahrnehmungen zu schlagen, im Gegensatz zur Rede des jetzigen Bundespräsidenten Steinmeier, der am 8. Mai 1945 pauschal die Befreiung als politischen Imperativ formuliert, sozusagen als Vorgriff auf die Erhebung dieses historischen Datums zum allgemein verbindlichen Feiertag.

Damals, als von Weizsäcker mit seiner Rede den Begriff der Befreiung ins Spiel brachte, warnte Franz Josef Stauß neben vielen anderen Politikern der CDU/CSU, wie man heute sieht, mit Recht und forderte, die Vergangenheit „in der Versunkenheit verschwinden zu lassen, denn die ewige Vergangenheitsbewältigung als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe lähmt ein Volk!

Die Tatsache, dass der Vater des ehemaligen Bundespräsidenten, Ernst von Weizsäcker, Staatssekretär im Auswärtigen Amt gewesen war und Brigadeführer der Allgemeinen SS, gibt Strauss recht. Sie belastete die Position des Bundespräsidenten und machte ihn erpressbar, zumal der Vater wegen seiner Beteiligung an der Deportation französischer Juden nach Auschwitz, vor dem Nürnberger Tribunal verurteilt worden war. Damals war der spätere Bundespräsident als Hilfsverteidiger seines Vaters in Nürnberg aufgetreten.

Inzwischen ist die These von der „Befreiung“ zementiert und es ist tragisch, dass Richard v. Weizsäcker, ein integrer und aufrechter Mann, in die Mühle von Strategien geraten war, die Franz Josef Strauss damals richtig eingeschätzt hatte. Deutschland ist nicht nur von Vergangenheitsbewältigung „als gesellschaftliche Dauerbüßeraufgabe gelähmt“, sondern derzeit im Begriff, daran zu zerbrechen.

Richard von Weizsäcker, Bundespräsident
*15. April 1920 in Stuttgart † 31. Januar 2015 in Berlin
Bild: Wikipedia: Bundesarchiv, Bild 146-1991-039-11 / CC-BY-SA 3.0

Am 8. Mai 1945 hatte die deutsche Wehrmacht mit allen Waffengattungen militärisch bedingungslos kapituliert. Diese bedingungslose Kapitulation, die Generaloberst Alfred Jodl für die Wehrmacht am 7. Mai 1945, kurz vor Mitternacht im Supreme Headquarters Allied Expeditionary Force, SHAEF, in Reims, für alle Waffengattungen und noch verbliebenen Frontabschnitte unterschrieben hatte, trat am 8. Mai 1945 in Kraft. In dem Zusammenhang ist zunächst festzuhalten, dass die in Reims unterzeichnete Urkunde nicht mit der ursprünglichen Fassung übereinstimmte, so wie sie auf der Konferenz von Yalta, vom 4. bis zum 11. Februar 1945, beschlossen worden war.

Die menschenverachtenste Entscheidung der Großen Drei, v.l. Churchill, Roosevelt, Stalin: Auslieferung aller Russen und Ukrainer an Stalin (Wlassov Armee) , die auf deutscher Seite gestanden waren. (Vor allem die ukrainischen Kosaken)

Auf Yalta war ursprünglich festgelegt worden, dass die Kapitulation mit einer Übernahme der Regierungsgewalt in Deutschland und seiner Zerstückelung verbunden sein sollte. In der Kapitulationsurkunde von Reims war dieser Passus allerdings nicht mehr enthalten und so regelte die deutsche Kapitulation des 8. Mai 1945 de jure, ausschliesslich die militärischen Angelegenheiten.

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai fand auf Betreiben der Sowjets eine Wiederholung der Kapitulationszeremonie in Berlin Karlshorst statt. Die Nachricht wurde am 9. Mai um 20:03 Uhr im letzten Wehrmachtsbericht des einzigen verbliebenen Reichssenders, Flensburg, verlesen. Zu dieser Zeit gab es immer noch eine amtierende Reichsregierung, die im schleswig-holsteinischen Flensburg unter Admiral Dönitz residierte. Erst am 23. Juni 1945 hörte das Reich auf, zu bestehen. Es erfolgte die Verhaftung der Regierung Dönitz, auf Befehl von General Dwight D. Eisenhower, mit Rücksicht auf den sowjetischen Alliierten. Dies geschah allerdings gegen die Interessen der Briten.

Kapitulation Reims

Spätestens hier beginnt eine Diskussion staatsrechtlicher Natur, ob denn die Auflösung des Deutschen Reiches, völkerrechtlich gesehen, möglicherweise nicht Rechtens gewesen war. Etliche deutsche Historiker argumentieren, daß Aufgrund der Verhaftung der Regierung Dönitz in Flensburg, das Deutsche Reich aufgehört habe, zu bestehen. Diese Auffassung ist geradezu exotisch, wenn man vergleichsweise argumentieren würde, man müsse nur die Bundeskanzlerin verhaften und die Regierung auflösen, um die Bundesrepublik Deutschland als Staatswesen abzuschaffen.

Letzte deutsche Reichsregierung Dönitz Juni 1945

Unbestreitbar ist jedenfalls, dass diese Auflösung und die danach folgende Zerstückelung Deutschlands auf Betreiben der Sowjets und gegen den ausdrücklichen Willen Winston Churchills, geschehen war. Der Premier hatte freilich anderes mit den Deutschen vor, denn inzwischen hatten sich die Spannungen mit der UDSSR und den Westmächten soweit verschlechtert, dass Churchill sich sogar zu der Aussage veranlasst sah: „Wir haben das falsche Schwein geschlachtet“.

Kapitulationsurkunde Berlin Karlshorst

Wie war es zu einem derart totalen Untergang des Deutschen Reiches gekommen und warum hatte Deutschland, selbst im Angesicht der totalen Niederlage, sozusagen bis zur letzten Patrone gekämpft?

1943 hatten die Alliierten auf ihrer Casablanca-Konferenz, gegen die Bedenken Churchills, die bedingungslose Kapitulation gegenüber Deutschland, als alleiniges Kriegsziel, festgeschrieben. Mit anderen Worten, es gab von Anfang an nur eine Option: „Deutschland als Machtfaktor in der Welt, ein für allemal auszuschalten“ und für die Deutschen gab es ebenfalls nur die eine Option: „Siegen, um nicht unterzugehen“. Das Problem war, dass der US Präsident, Franklin Delano Roosevelt, ab 1943, physisch und psychisch zunehmend kaum noch in der Lage war, eine Großmacht wie die USA, zu führen. Nach Zeugnis seines engeren Umfelds, war Roosevelt ein todkranker Mann, der sich täglich maximal 2-4 Stunden auf sein Amt konzentrieren konnte. Zum zweiten hegte der US Präsident, eine irrationale Zuneigung zu Josef Stalin, den er freundschaftlich „Uncle Joe“ nannte.Wie Roosevelt und sein Stab die monströsen Verbrechen an über 16 Millionen Menschen in der UDSSR und die Massenliquidierung von tausenden polnischen Offizieren in sein Weltbild einordnete, das nahm Roosevelt als Geheimnis mit ins Grab. Roosevelt stand bis zu einem gewissen Grade unter dem Einfluss seines Finanzministers Henry Morgenthau, der die Deutschen zutiefst hasste, allerdings mit einiger Berechtigung. Morgenthau war Jude und im Gegensatz zu Roosevelt, der ebenfalls jüdischer Abstammung war, litt er, im Gegensatz zum Präsidenten, zutiefst an der Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten, während Roosevelt, dem die Naziverbrechen auch nicht verborgen geblieben waren, diese schlichtweg ignorierte. Als Dritter im Bunde stand der britische Premier Winston Churchill vor der unlösbaren Aufgabe, der völlig konzeptionslosen Handlungsweise des US Präsidenten so etwas wie eine rationale Strategie, entgegenzusetzen. Dies gelang Churchill nur sehr bedingt, denn sein Land war finanziell Pleite und hing am Tropf der USA.

Was den Feind, das Deutsche Reich, betraf, so trat genau das ein, was Churchill befürchtet hatte. Hitler und seine gleichgeschaltete Presse konnte die Deutschen nach Casablanca davon überzeugen, erbitterten Widerstand „bis zur letzten Patrone“ zu leisten, denn es gab nicht den geringsten Spielraum für Friedensverhandlungen. So mancher Durchhaltebefehl Hitlers, lässt sich mit Casablanca erklären.

Es war insbesondere der deutsche Widerstand gegen Hitler, dem durch die alliierte Entscheidung von Casablanca, der Boden entzogen wurde. Die Alliierten hätten bei einem Erfolg des Widerstandes, ihre Pläne mit Deutschland aufgeben müssen. Denn vor den Augen der Welt hätten sie ihr Gesicht verloren, wenn sie unter den Umständen eines erfolgreichen Attentats gegen Hitler, weiterhin auf einem bedingungslosen Waffenstillstand beharrt hätten. In einer solchen Situation hätten die Alliierten gezwungener Maßen auf einen Frieden mit Deutschland eingehen müssen, einen Frieden, den sie um keinen Preis wollten, denn für sie gab es nur eine Option: „Die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches“. Für die Alliierten gab es keinen Unterschied zwischen dem Regime Hitler und „diesen Preussischen Junkern“, wie sie den Kern des Widerstands klassifizierten. Hitler und Deutschland, das machte für die Alliierten keinen Unterschied.

Claus Philipp Maria Schenk Oberst, Graf von Stauffenberg (* 15. November 1907 Erschossen am 21. Juli 1944)
Bild: Wikipedia

Nach Einschätzung der Alliierten beabsichtigten diese, so bezeichneten „preussischen Junker“, ohnehin nur Vorteile durch einen ausserplanmäßigen Friedensschluss zu gewinnen. Hinzu kam aber auch das latente Misstrauen der „Grossen Drei“ untereinander. England und die USA befürchteten, Stalin könnte sich bei Gelingen des Attentats auf Hitler auf einen Separatfrieden zwischen der UDSSR und dem Deutschen Reich verständigen. Immerhin hatten die Sowjets bereits über das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ begonnen, eine deutsche Exilregierung aufzubauen. Lebhaft war in den Köpfen der Westalliierten zudem noch die Erinnerung an den Vertag von Rapallo von 1922, zwischen dem Deutschen Reich und der Russischen Föderativen Sowjetrepublik, der Vorläuferin der UDSSR. Übrigens ein Geniestreich des damaligen deutschen Außenministers Walther von Rathenau, der das Reich zum Schrecken der ehemaligen Kriegsgegner des Ersten Weltkrieges, Grossbritannien und Frankreich, mit diesem Vertrag aus seiner, durch den Friedensvertrag von Versailles bedingten Isolation, herausführte. Stalin seinerseits mißtraute den Westalliierten, sie könnten in einer Art Kehrtwende gemeinsam mit den Deutschen, gegen Russland marschieren.

Wie zwiespältig und konzeptionslos die Alliierten überhaupt agierten, zeigt sich daran, daß sie 1944 im Rahmen einer Planungsgruppe in London begannen, für den Sieg über Deutschland zunächst ein massvolles Friedenskonzept zu entwickeln. Andererseits waren sie darauf fixiert, Deutschland unterschiedslos, mit oder ohne Hitler, den Garaus zu machen. So schrieb Roosevelt am 19. August 1944 an seinen Finanzstaatssekretär, Henry Morgenthau jr.: „Man muss die Deutschen entweder kastrieren oder sie so behandeln, dass sie nicht erneut Leute in die Welt setzen, die so handeln wie sie es in der Vergangenheit getan haben.

Dementsprechend verfuhren die Alliierten im Umgang mit dem deutschen Widerstand gegen Hitler. London und Washington lehnten, im Einvernehmen mit Josef Stalin, jegliche Kontaktaufnahme und Unterstützung des Kreises um Oberst Stauffenberg ab. Die Briten gingen sogar so weit, nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 über die BBC eine Namensliste von deutschen Widerstandskämpfern zu verbreiten, die bis zum Zeitpunkt des Attentats unerkannt geblieben waren. Die selbstverständliche Konsequenz des NS Terror-Regimes war die umgehende Verhaftung und Liquidierung dieser Widerstandskämpfer aus der Liste des Londoner Rundfunks.

Was das Kriegsziel der Alliierten grundsätzlich betraf, so ging es den Briten um nichts anderes, als Deutschland auf lange Sicht wirtschaftlich klein zu halten und die deutsche Konkurrenz auf den Weltmärkten bis zu einem bestimmten Grade auszuschalten. Josef Stalin wiederum ging es um Vergrößerung der sowjetischen Einflusssphäre im Westen seines Herrschaftsgebietes und US Präsident Roosevelt favorisierte, gegen den vehementen Widerstand weiter Kreise in den USA und Großbritannien, einen Plan seines Finanzministers Henry Morgenthau, Deutschland als Staatswesen restlos aufzulösen, seine gesamte Industrie zu demontieren und das Reich in drei voneinander unabhängige Agrarstaaten aufgehen zu lassen. Wobei schließlich große Teile des ehemaligen Reiches an seine Nachbarn abgetreten werden sollten. Vier Millionen Deutsche sollten zudem als Arbeitskräfte zum Wiederaufbau in die UDSSR abgestellt werden und einige Millionen Deutscher hätte man in Nordafrika ansiedeln wollen. Last not least sollten alle Nazigrößen sofort und unterschiedslos erschossen werden.

Orig. Planskizze aus dem Morgenthau Plan;
Bild Wikipedia

Auf der zweiten Alliierten Konferenz im September 1944, im kanadischen Quebec, wurde der Morgenthau Plan trotz erheblicher Bedenken und mit zögerlicher Zustimmung Winston Churchills, beschlossen. Gleichzeitig hatte Roosevelt den Briten eine weitere Milliardenhilfe zugesagt, die England dringend benötigte. Wenig später geriet der so diskret eingebrachte Morgenthau Plan allerdings durch Indiskretion in die US Presse und löste einen Sturm der Entrüstung aus. Angesichts der kurz bevorstehenden Kongress- und Präsidentschaftswahlen ging Präsident Roosevelt auf Distanz zu seinem Intimfreund Henry Morgenthau und dessen Plänen und auch Churchill wollte nichts mehr von der Sache wissen und konnte sich nicht daran erinnern, den Plan je unterschrieben zu haben.

Der tiefe Hass Henry Morgenthaus auf die Deutschen rechtfertigt sich durch die inzwischen bekanntgewordenen Greuel der Nationalsozialisten im Osten und die 1943/44 in vollem Gang befindliche, systematische Ermordung der europäischen Juden in den Vernichtungslagern in Ostpolen.

Im Gegensatz zu Morgenthau, dessen Familie ebenso aus Deutschland stammte, wie die Roosevelts, ignorierte letzterer, ebenfalls Jude, die Schreckensnachrichten über den Judenmord in Ostpolen und liess sich davon zu keinem Zeitpunkt beeindrucken. Ebensowenig gestattete er die Bombardierung der Verkehrswege von und nach Auschwitz. Zudem lehnte Roosevelt vor allem wegen der nicht zu unterschätzenden antisemitischen Tendenzen in den USA die Aufnahme von jüdischen Emigranten in die USA mit Blick auf die 1944 anstehenden Präsidentschaftswahlen weitgehend ab. Roosevelts größte Sorge war, dass man ihm unterstellen könnte, er führe diesen Krieg der Juden wegen und so hielt er, trotz guter Freundschaft zu Henry Morgenthau, Distanz zu allem, was jüdische Interessen betraf.

Seite 1 des Morgenthau Plans; US declassified document

Morgenthau, der, im Gegensatz zu seinem Präsidenten und weiten Kreisen in der Politik und der Armee, jüdischen Flüchtlingen aus Europa zu helfen suchte, stieß dabei auf allseitigen Widerstand und so kam es zwischen ihm und dem Unterstaatssekretär im Kriegsministerium und späteren Hohen Kommissar für die Bundesrepublik Deutschland, John McCloy, zu heftigen Auseinandersetzungen.

Henry L. Stimson: US Kriegsminister
Bild: Wikipedia

Auch US-Kriegsminister Stimson stimmte mit seinem Unterstaatssekretär McCloy darin überein, dass die US-Streitkräfte nicht zur Rettung von Nazi-Opfer eingesetzt werden sollten, es sei denn, eine solche Intervention wäre Teil einer militärischen Operation, die notwendig sei, um den Krieg gewinnen zu helfen. Zum Zweiten Weltkrieg insgesamt, vertrat McCloy den grundsätzlichen Standpunkt: „Die Sieger des Ersten Weltkriegs hätten anstelle des in Versailles über Deutschland verhängten Straffriedens besser daran getan, die besiegte Nation in die europäische Wirtschaft einzubeziehen und sie als Bollwerk gegen den sowjetischen Bolschewismus zu stärken.“

Unterstaatssekretär John McCloy vor der „Heiligen Kuh“ (Die US-Präsidentenmaschine in Europa:
Douglas C-54 Skymaster)
Bild: Wikipedia

Ein anderer Vorfall charakterisiert die differenzierte Stimmung in den USA gegenüber Deutschland. Im April 1943, als Finanzminister Morgenthau in der Carnegie Hall in New York City über den Krieg sprechen sollte, wollte er gemäß seinem Manuskript versichern, dass die Alliierten „Deutschland hinunterstürzen wollten, bis auf sein verrottetes, blutbeflecktes Fundament“. Ein Zensor des Kriegsministeriums missbilligte diesen Passus in Morgenthaus Redekonzept und belehrte ihn, dass „die meisten Deutschen gute Menschen seien“ und es „eine Schande sei, derart über sie zu sprechen, wie es der Finanzminister beabsichtige“. Gezwungenermaßen sah sich Morgenthau dazu veranlasst, seine Aussage auf den Begriff „Nazi-Deutschland“ zu reduzieren.

„Dieser Morgenthau Plan ist für die Deutschen mehr wert als 10 frische Divisionen“

Das Bekanntwerden des Morgenthau Plans rief natürlich auch die deutsche Presse auf den Plan. Groß aufgemacht titelte die Einheitspresse mit dem Goebbels Zitat. „Die Allierten wollen aus Deutschland einen Kartoffelacker machen“. Die US Zeitungen ihrerseits zitierten namhafte Politiker und die US Medien mit der Schlagzeile. „Dieser Morgenthau Plan ist für die Deutschen mehr wert als 10 frische Divisionen“.

Tatsächlich mussten die Alliierten zur Zeit des Bekanntwerdens von Henry Morgenthaus Plänen während der Kämpfe um Aachen und auch während der Ardennenoffensive, wegen des massiven deutschen Widerstands, schwerste Verluste hinnehmen. Dazu McCloy am 20. Dezember 1944: „Es ist umwerfend, dass sie so schnell und in so völlig verdeckter Form so viel Kraft aufbringen können, vor allem, wo wir doch die Luftherrschaft haben(…) Gerade wenn du denkst, dass sie am Boden sind, kommen sie mit diesen schwindelerregenden Schlägen zurück, dass dir die Zähne klappern“.

Am 5. Januar 1945 forderte der demokratische Senator Burton Wheeler, aus Montana, dass Roosevelt angesichts der tobenden Ardennenschlacht seine „brutale und kostspielige“ Forderung nach bedingungsloser Kapitulation fallen lassen möge. Wheeler führte aus: „Die Mehrheit der Amerikaner sei nicht bereit, einen Rachefrieden gegen Deutschland zu sanktionieren. Sie wollten auch nicht, dass Amerika Europa in einen brodelnden Ofen von Brudermord, Bürgerkrieg, Mord, Krankheit und Hunger, verwandelt“. Fakt ist, es gab nicht wenige Stimmen in den USA, die noch zu Beginn des Jahres 1945 den Kriegsausgang als ungewiss betrachteten und auch die Briten schienen kriegsmüde und pfiffen Churchill nicht nur einmal aus, wenn er sich in der Öffentlichkeit zeigte.

Blick vom Rathausturm auf die Ruinen von Dresden.
Vom 13. bis zum 15. Februar hatten die Alliierten die Stadt bombardiert und dabei fast vollständig zerstört.
Bild: Wikipedia

Kritik an der Art und Weise der alliierten Kriegsführung äusserte Kriegsminister Henry L. Stimson im März 1945. Stimson äusserte sich betroffen über den „schrecklichen und wahrscheinlich unnötigen Mord“ an vielleicht fünfzigtausend Menschen während des alliierten Bombenangriffs auf Dresden im vergangenen Monat. In seinem Tagebuch vermerkte Stimson, dass die Stadt, die für ihr Porzellan und ihre Architektur bekannt ist, die Hauptstadt Sachsens sei, der am wenigsten preußisierte Teil Deutschlands, der das Zentrum eines neuen, weniger preußisierte Deutschlands sein sollte, das der Freiheit verpflichtet sei.“

Im Oktober 1944 hatten die Allierten als erste deutsche Großstadt die altehrwürdige Kaiserstadt Aachen unter schwersten Opfern eingenommen. Der Anfang vom Ende eines Terror-Regimes, das Europa ins Unglück gestürzt hatte. Doch der Weg nach Berlin war noch unerträglich weit. Fragt man, warum so lang, warum sie weit? Dann findet sich die Antwort im Morgenthau-Plan. Dem Plan des Hasses und der Rache, wie es die meisten Westalliierten Politiker und Militärs wortwörtlich auf den Punkt brachten.

Epilog: Wie im ersten Teil meines Aufsatzes zitiert, findet sich doch immer wieder, laut Germaine de Staël (*22. April 1766 in Paris , † 14. Juli 1817 ebenda“), ein obskurer deutscher Professor, der so lange an der Objektivität herumbastelt, bis er bewiesen hat, dass die Deutschen Unrecht getan haben.“

In der Tat, deutsche professorale Authoritas hat sich inzwischen sogar dazu verstiegen, dem Morgenthauplan visionäre und sozialrevolutionäre Aspekte eines wünschenswerten Ökostaates abzugewinnen. Im übrigen sei das alles garnicht so dramatisch gewesen, das mit dem guten Morgenthau. Nur Nazis und Rechtsradikale hätten das gar zu sehr aufgebauscht, so die Quintessenz strammen deutschen Gelehrtentums.